Dieser ständig wiederholte und an vielen Gefahrenstellen zu lesende Satz trifft grundsätzlich nicht zu (vgl. Jauernig/Teichmann, § 832 BGB, Rn. 1). Gleichwohl kennt das BGB eine Norm, die die Haftung der Eltern für Schädigungen durch ihre Kinder begründen kann, nämlich § 832 I BGB. Dass der obige Standardsatz nicht gerade aufgrund dieser Regelung gilt, ist zuvörderst daran zu erkennen, dass § 832 I BGB eine Haftung nicht etwa „für das Kind“, also für dessen den Eltern angelastetes Verschulden begründet, sondern an eine eigene Pflichtverletzung derselben anknüpft, nämlich an eine Verletzung der Aufsichtspflicht, § 832 I 2 BGB.
Mit einer Konkretisierung dieser Pflicht, die nicht nur Eltern von Kindern treffen kann, bei diesen aber sehr klar aus §§ 1626 I 1, 1631 I BGB folgt, befasst sich das LG Wuppertal in einem Urteil vom 17.10.2017 (16 S 19/17 = BeckRS 2017, 132100). Übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung betont das Gericht, einem sieben- bis achtjähriges Kind dürfe von den Eltern grundsätzlich zugetraut werden, bekannte Wege mit dem Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr alleine und unbeaufsichtigt zurückzulegen. Das Gericht betont aber, dass es von diesem Grundsatz Ausnahmen geben kann – eine Selbstverständlichkeit, denn der genaue Inhalt der Aufsichtspflicht hängt von verschiedensten Umständen des Einzelfalls ab (Schulze u.a./Staudinger, § 832 BGB, Rn. 11).
Im entschiedenen Fall war das Kind mit einem Fahrrad ohne Kettenschutz und einer sehr weiten Hose unterwegs. Diese verfing sich in der Kette, das Kind verlor die Kontrolle über das Rad und beschädigte ein fremdes Fahrzeug. Die sich aus beiden Besonderheiten (fehlender Schutz und Hose) ergebende Risikoerhöhung genügt dem Gericht, um eine Aufsichtspflichtverletzung anzunehmen: Erforderlich gewesen sei zumindest die Aufklärung und Belehrung des Kindes über die zusätzlichen Gefahren, die wohl nicht erfolgt war.
Der dogmatische Ausgangspunkt des Urteils ist unspektakulär, das Ergebnis im konkreten Rechtsstreit jedenfalls nicht völlig unvorhersehbar. Dennoch gibt die Entscheidung Anlass, noch einmal darauf hinzuweisen, wie weit die Aufsichtspflicht gehen kann und wie abhängig sie von auf den ersten Blick nicht besonders bedeutenden Umständen ist: Ein Kind fährt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule und die Eltern wissen, dass es dies beherrscht und sie pflichtgemäß handeln (unterlassen). Eines Tages stellen sie fest, dass der Kettenschutz fehlt. Es genügt nicht, irgendwann oder auch zeitnah Ersatz zu beschaffen. Die neue gefährlichere Situation erfordert mindestens eine genaue Unterrichtung des Kindes, besser den Verzicht auf weitere Fahrten mit dem Rad.
Es sind unzählige ähnliche Konstellationen im Verkehr oder anderen Lebensbereichen denkbar. Eltern sollten also stets besonders aufmerksam sein.